Lagezuschlag für Gründerzeithäuser

30. März 2018 | Mietrecht

Derzeit ist in sogenannten „Gründerzeitvierteln“ rund um den Gürtel kein Lagezuschlag zum Richtwertmietzins zulässig. Doch das dürfte sich nach den Plänen der neuen Regierung bald ändern.

In Wien begann die sogenannte „Gründerzeit“ mit dem Fall der Stadtmauer 1850 und endete mit der Einführung des ersten Mietrechtsgesetzes 1917. Zu dieser Zeit wuchs die Bevölkerung in der Stadt durch Zuzug explosionsartig an, sodass rasch günstiger Wohnraum geschaffen werden musste. Es wurden in den neu eingemeindeten Vororten außerhalb der Stadtmauer (des heutigen Gürtels) zahlreiche Zinshäuser auf billigem Grund und in der Nähe der Fabriken mit kleinen Zimmer-Küche-Wohnungen gebaut. Fließendes Wasser und WC gab es aus Kosten- und Platzgründen nur am Gang.
Aufgrund der schlechten Ausstattung (Sub-Standard, Kategorie D) blieben die Mieten in diesen Häusern lange Zeit preiswert. Doch durch Generalsanierungen und Wohnungszusammenlegungen änderte sich das im Laufe der Jahrzehnte. Um weiterhin leistbaren Wohnraum rund um den Gürtel und damit in Zentrumsnähe zu erhalten, wurde bei Einführung des Richtwertgesetzes 1993 (BGBl 800/1993, zuletzt geändert durch BGBl 12/2016) die politische Entscheidung getroffen, dass Gründerzeitviertel vom Lagezuschlag ausgenommen sein sollen.

Dazu ist anzumerken, dass seit 1994 bei Neuvermietung von nicht geförderten und nicht gemeinnützigen Altbauwohnungen das Richtwertgesetz österreichweit gilt. Dieses gibt die zulässige Miete für eine „Normwohnung“ vor. Zweck dieses Gesetzes war es, das öffentliche Interesse an leistbarem Wohnraum zu verfolgen und den Entwicklungen bei den Mietzinsen entgegenzuwirken.

Für jedes Bundesland gilt ein eigener Richtwert, je nach Grund-, Baukosten und Marktverhältnissen. Dieser ist mit dem Verbraucherpreisindex zu valorisieren und der Richtwert regelmäßig entsprechend anzupassen.
Derzeit gelten seit April 2017 folgende Richtwerte:

• Burgenland € 5,09
• Wien € 5,58
• Niederösterreich € 5,72
• Oberösterreich € 6,05
• Kärnten € 6,53
• Tirol € 6,81
• Salzburg € 7,71
• Steiermark € 7,70
• Vorarlberg € 8,57

Je nach Ausstattung und Lage der Wohnung können zu diesem Richtwert gemäß § 16 Abs 2 MRG Zu- und Abschläge verrechnet werden. Damit kann auf regionale Unterschiede Rücksicht genommen werden.

Für eine überdurchschnittliche Lage kann nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG ein sogenannter „Lagezuschlag“ je nach Wohnumgebung verrechnet werden. Für Gründerzeitviertel ist dieser Lagezuschlag gemäß § 2 Abs 3 Richtwertgesetz nicht zulässig, weil die Lage dieser Viertel im Gesetz als „höchstens durchschnittlich“ bezeichnet wird.

Der Verfassungsgerichtshof bestätigte in seiner Entscheidung vom 28.6.2017 zu G 428/2016 die Verfassungsmäßigkeit des Richtwert- und Mietzinsbeschränkungssystems.

Der Oberste Gerichtshof stellte in der Entscheidung 5 Ob 74/17v vom 20.11.2017 fest, dass ein Lagezuschlag iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG (nur) dann zulässig ist, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage. Zudem müssen die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände dem Mieter in Schriftform bis spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrags ausdrücklich gemäß § 16 Abs 4 MRG bekanntgegeben worden sein. Dabei genügt es, wenn die entsprechenden, den Wohnwert eines Hauses beeinflussenden Kriterien schlagwortartig angeführt werden. So reichen beispielsweise Hinweise auf die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, gute Infrastruktur und/oder Grünruhelage aus.

Weiters hält der OGH fest, dass die in § 16 Abs 4 MRG für die Berücksichtigung eines Lagezuschlags geforderte „Überdurchschnittlichkeit“ einer Lage (Wohnumgebung) nicht schon allein aus einem gegenüber der mietrechtlichen Normwohnung höheren Grundkostenanteil der konkret zu bewertenden Lage abgeleitet werden kann. Es bedarf vielmehr einer Prüfung, ob im konkreten Einzelfall die Lage (Wohnumgebung) der Liegenschaft, auf der sich eine Wohnung befindet, nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens besser als die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) ist. Diese Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ wird von verschiedenen Faktoren, wie etwa Standorteigenschaften, nämlich Erschließung der Wohnumgebung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nahversorgungsmöglichkeiten, beeinflusst. Im vorliegenden Fall des im 5. Bezirk gelegenen Hauses sind die innerstädtischen Gebiete mit der dafür typischen geschlossenen und mehrgeschossigen Verbauung zu vergleichen. Im Vergleich zu diesen relevanten Lagen Wiens rechtfertigen die im vorliegenden Fall festgestellte Erschließung der Wohnumgebung des Hauses mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die dort bestehenden Möglichkeiten der Nahversorgung die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage im Sinne des § 16 Abs 4 MRG nicht. Es darf daher kein Lagezuschlag verrechnet werden.

Hingegen entschied der OGH am 22.4.2020 zu 5 Ob 150/19y für eine Wohnung im 5.Bezirk direkt am Margaretenplatz, dass eine überdurchschnittliche Lage gegeben ist und ein Lagezuschlag verlangt werden darf. Dabei wurde unter anderem die Lage direkt im Bezirkszentrum, die gute Erreichbarkeit für den Individualverkehr, die fußweite zur nächsten U-Bahn-Station, die Nähe zu weiteren öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten für die Deckung des täglichen Bedarfs und weiterer Konsumgüter direkt am Margaretenplatz,  eine Apotheke direkt im Haus und ein Spital in Gehweite und die relative Nähe zum Stadtzentrum (3,4km) berücksichtigt.

Der OGH zeigt damit auf, dass auch in zentralen Lagen, in welchen die Grundkostenanteile überdurchschnittlich hoch sind, nicht automatisch ein Lagezuschlag zum Richtwertmietzins verrechnet werden darf. Auch dann nicht, wenn die gesamte Umgebung verkehrsmäßig gut erschlossen ist und es generell in fußweite Einkaufsmöglichkeiten gibt. Es müssen weitere Kriterien für eine überdurchschnittliche Lage hinzukommen, um einen Lagezuschlag zu rechtfertigen. Die Beurteilung ist letztlich immer eine Einzelfallentscheidung.

Nach Ansicht des OGH kann aber hingegen auch für eine Wohnung in einem Gründerzeitviertel unter Umständen trotz des Verbots im Richtwertgesetz ein Lagezuschlag zulässig sein. Wenn im konkreten Wohnviertel die alten schlecht ausgestatteten Gründerzeithäuser überwiegend durch Neubauten ersetzt wurden, liegt kein Gründerzeitviertel mehr vor. Der gesetzliche Ausschluss eines Lagezuschlags greift nicht mehr. Damit dürfen Vermieter nach und nach auch in der „Peripherie“ außerhalb des Gürtels Lagezuschläge verlangen. Die Mieten werden damit in den einst billigeren Wohngegenden zunehmend teurer.

Nach dem neuen Regierungsprogramm 2017-2022 soll es zu einer Klarstellung und einheitlichen Regelung kommen. Im Kapitel „Modernisierung des Wohnrechts“ ist vorgesehen, dass das gesetzliche Verbot des Lagezuschlags in Gründerzeitvierteln aufgehoben werden soll, um faire Verhältnisse zu schaffen. Das Richtwertgesetz, insbesondere § 2 Abs 3, soll also entsprechend novelliert werden.

Damit wäre dann für alle Wohnungen in Gründerzeitvierteln unabhängig davon, ob die konkrete Lage überdurchschnittlich ist, ein Lagezuschlag zulässig.

Mit der Möglichkeit künftig bei Neuvermietung auch in Gründerzeitvierteln Lagezuschläge verlangen zu können, werden sich die Mieten drastisch erhöhen. Eine Steigerung der Nettomiete zwischen € 1,36 bis 3,34/m² wird befürchtet. Ca. 100.000 Wohnungen sind in Wien davon betroffen.

Das ursprüngliche politische Ziel des Richtwertgesetzes, in Zentrumsnähe leistbaren Wohnraum zu erhalten, wird offensichtlich nicht mehr verfolgt.